47906 Kempen - Terwelpstraße 10
Fon +49 (0) 2152 - 22 57

1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Kurzgefasste Geschichte eines langen Leidens
von Dr. Martín Almada
12.03.12     A+ | a-
Dies ist ein (sehr kurzer) Abriss der Geschichte Paraguays von der Besetzung durch die Spanier bis in die heutige Zeit, aufgeschrieben von unserem paraguayischen Partner Dr. Martín Almada. Aus seiner politischen Sicht zeichnet er das Bild eines Landes, das einmal erstaunlich autonom war und dann in die Abhängigkeitsmühlen der Weltgeschichte geriet, aus denen es sich bis heute nicht hat befreien können. Ein Volk, das immer ein Spielball der Mächtigen von außerhalb und der eigenen Machteliten im Inneren war.Ein Spielball der „Subversivenjäger“ war Martín Almada selber, er hat es aber in bewundernswerter Weise vermocht, sein Leiden in engagierte und ausdauernde enschenrechtsarbeit umzusetzen. Dr. Martín Almada Wenn wir seine Geschichtsinterpretation auch nicht in allem teilen, haben wir seinen Text doch gern übersetzt für die Freunde und Paraguay-Interessierten, die immer schon mehr über Paraguays Geschichte wissen wollten - ohne einen dicken Wälzer zu knacken .....

Lernen mit Schmerzen: Paraguay und die Pflicht zur Erinnerung Es ist wichtig zu begreifen, welcher Gewinn für ein Volk in der Erinnerung und im Wachhalten seiner Vergangenheit liegt, welchen Verlust es hingegen für das Vergessen erleidet. In dieser Hinsicht ist Paraguay ein Land, das versäumt hat, die offene Rechnung mit seiner Geschichte zu begleichen, das sich geradezu duckt unter dem Mantel des kollektiven Vergessens....
Paraguay entstand und wuchs mit dem Verdrängen seiner Tragödien und dem Verrat an seinen Toten ..... 1537 wurde unser Land von den Spaniern erobert, die sehr schnell eine Politik der Integration betrieben durch die planvolle Vereinigung dreister Besatzer mit den eingeborenen Frauen, wodurch eine Bevölkerung von Mestizen entstand.

Wie viele Spanier wirklich nach Paraguay kamen, wissen wir nicht, wohl aber, dass sie keineswegs mit der Absicht eintrafen, hier lange zu bleiben und Familien zu gründen, sondern lediglich im Zuge ihrer leidenschaftlichen Suche nach dem Goldschatz eines El Dorado. Um ihren Besitz zu mehren, verfügte die spanische Mit Kreuz und Schwert Krone die Verteilung von Land und von Indios an die Kolonisten. (System der“ encomienda“, ein Verteilen der Beute, Land und Frauen, an die Kolonisten – Anm. Übersetzer) Indessen war Paraguay, der „Gigant der ´indischen´ Provinz“, nur eine Art Schutzraum für jene Fremden, deren geringe Kopfzahl in umgekehrtem Verhältnis zur Anzahl ihrer Frauen stand.

Ihre Kinder wuchsen auf und vervielfältigten sich ohne die Fürsorge ihrer europäischen Väter. Deren Liebe galt mehr dem vermuteten Gold und Silber. Als die Spanier nun von ihren frustrierenden Expeditionen zurück kehrten, fanden sie eine zahlreiche Nachkommenschaft vor, welche das Idiom ihrer Mütter sprach, das guaraní. Ihre Väter sahen sich folglich genötigt, sich die Sprache ihrer Familien anzueignen, sehr schnell auch Guaraní zu schreiben. Pater Antonio Ruíz de Montoya verfasste bald das erste Wörterbuch für spanisch-guaraní und veröffentlichte schon 1639 ein Buch mit dem Titel „Der Schatz der Guaraní-Sprache“.(Man sagt uns, das native Idiom habe sich erhalten, weil es so „zart“ sei, in Wirklichkeit aber hatte es immer den bitteren Geschmack der Sprache der Ausgebeuteten, die zum Beispiel in den riesigen Pflanzungen von yerba mate schufteten, als Tee in die Metropolen exportiert.) Unser Gedächtnis registriert zu Beginn des 17. Jhdt. die Schaffung der „Ciudad de Dios de San Agustín“, der augustinischen Gottesstadt, durch spanische Jesuitenpadres. Mehr als 100.000 Indios, verteilt auf dreißig reducciones - enorme Siedlungen, in denen das größte Experiment gemeinschaftlichen Zusammenlebens in der Geschichte vollzogen wurde.

Die Reduktionen gelten manchen noch heute als Beispiel einer authentisch - sozialistischen Gesellschaft, die ihren Reichtum aufteilte statt Armut zuzuteilen. Die jesuitischen Siedlungen wurden zu einer Bedrohung für die spanische Krone, handelte es sich doch um ein autonomes Projekt mit einer sozialen und Ruinen der Reduktionen Trinidad /Paraguay wirtschaftlichen Entwicklung, die sich ganz unabhängig von den Zentralen vollzog, sodass König Karl der Dritte die Jesuiten 1767 aus dem Land jagte. Sie waren einfach zu erfolgreich. Und zu eigenwillig.

Damit wurde ein Experiment bestraft und zum Verstummen gebracht, das160 Jahre gedauert hatte. Es hatte das schon damals mächtige kapitalistische System in Gefahr gebracht! Das Modell der Ausbeutung hat sich gegen die geplante Ciudad de Dios de San Agustín behauptet, gegen eine prophetische christliche Bewegung, die einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wollte: Eine „Erde frei von Übeln“. Den Jesuiten jener Zeit widerfuhr das gleiche wie Jesus, der auch gegen die Mächtigen redete und handelte: Eine eigenständige Entwicklung, eine kommunitarische Verfassung - das stand gegen die Gesetze der Krone und gegen den vatikanischen Herrschaftsanspruch. Die Geschichte dieses erfolgreichen jesuitischen Projektes wurde zu Grabe getragen und bis zum heutigen Tage versteckt. (Manchmal gibt es in Europa - auch bei uns in Deutschland, romantisierende Seminare zum „jesuitischen Experiment“ Ü)(Mit vielen anderen betont der bolivianische Historiker Rafael Puente Calvo die Bedeutung des Evangeliums als „Frohe Botschaft“, deren Verbreitung Jesus den Hass und den Tod durch die Mächtigen eintrugen, da es für sie eine unerträgliche Lehre darstellte, zumal „Gott unter uns war“ , der leibhaftige Jesus nämlich, der sich sogar mit den Armen abgab. „Würde dieser Jesus heute leben, wäre er gewiss Guerillero“, so seine Überzeugung.)

Das christliche Beispiel der Reduktionen entstammt der Bibel. Jesus war niemals „Besitzender“ welcher Güter auch immer, er schwang die Peitsche gegen die Händler, war selber kein Geschäftemacher und verurteilte vor allem den Zinswucher und die Ausbeutung. Auch in unserem Lateinamerika findet sich Gleiches in der Theologie der Befreiung, auch sie spricht wieder von einer kommunitarischen, eigenverantwortlichen und solidarischen Entwicklung. Diese Art Theologie kommt allerdings dem rigiden Machtanspruch einer Papstkirche ins Gehege und wird folglich rasch ins Abseits gestellt, d. h. unter anderem, dass Bischöfe, die solchen „Verirrungen“ anhängen, abberufen werden. (Lateinamerika ist so nach wenigen Jahren Benedictus befreiungstheologisch „befreit“ – Ü). Solidarisch im Protest Im Gegensatz zu anderen

Ländern wie Peru oder Mexiko gründete die Wirtschaftsweise der encomienda , der sich die conquistadores unterzuordnen hatten, in der Provincia de Paraguay nicht auf große Plantagen, und sie benötigte auch keinen massiven Einsatz von Arbeitskräften. Fast könnte man von einer Familienökonomie sprechen, sogar die größten encomanderos besaßen nicht mehr als fünfzig Indios. So konnte die ethnische und kulturelle Vermischung sich leichter und rascher vollziehen.Ganz gewiss gab es Unterdrückung und Gewalt auf Seiten der spanischen Kolonisten, allerdings in viel geringerem Ausmaß als in den anderen genannten Ländern. Nach dem Tod der Kolonisten entstand unmittelbar eine Gesellschaft der Mestizen, die eigentlich schon Paraguayer waren und auch so bezeichnet wurden.

Die ersten spanischen „Eroberer“ waren nicht etwa Spanier aus uraltem Geschlecht, ganz im Gegenteil hatten viele von ihnen gegen Karl den Fünften und die Monarchie in den berühmten „Aufständen von Kastilien“ gekämpft. Schon damals also war Paraguay eine rebellische Provinz, in die man einen Alvar Nuñez Cabeza de Vaca meinte entsenden zu müssen, um die „Ordnung“ wieder herzustellen. Unsere Erinnerung vermerkt auch die einzigartige Geschichte eines José de Antequera y Castro, der 1732 vom spanischen König zum „Richter und Strafverfolger“ ernannt wurde mit dem Auftrag, das Problem der äußerst subversiven paraguayischen Kreolen zu „lösen“. Anstatt wie befohlen einzuschreiten, machte jener Antequera sich die paraguayische Sache zu eigen, die als revolución de los comuneros bekannt wurde. Er proklamierte den Willen des Einzelnen als über dem des Königs stehend und zettelte so eine Rebellion an.

Auf der Plaza de Armas in Lima wurde er dafür 1731 hingerichtet. Als die Spanier im Mai 1811 Paraguay den Rücken gekehrt hatten, übernimmt Dr. Gaspar Rodríguez de Francia zunächst die geistigintellektuelle, dann auch die politische Führung des Landes. Er war Absolvent der jesuitischen Universität Córdoba in Argentinien. Allein die Erwähnung des Namens Dr. Francia, des paraguayischen „Maximiliano Robespierre“, wie er auch genannt wird, rufen Gefühle und Umstände wach, mit denen man das Gedächtnis unseres Landes leichter zum Leben erwecken kann. Es entstand ein paraguayisches Bürgertum, eingebunden in die Interessen des in Buenos Aires herrschenden Kapitals, das seinerseits der Macht des englischen Kapitals gehorchte.

Dr. Francia erkannte dies mit großer Klarheit, er sprach und handelte unerbittlich gegen jene unter seinen Mitstreitern für die Unabhängigkeit, die starke ökonomische Verbindungen mit Buenos Aires hatten. Die Note der paraguayischen Regierung vom 20. Juli 1811 an die Junta von Buenos Aires erklärt kategorisch Paraguays Unabhängigkeit, sowohl von Buenos Aires als auch vom spanischen Mutterland. Paraguay erklärt sich zur Republik und bekräftigt seine Position einer autonomen Entwicklung, während die übrige Region lediglich den Vormund wechselt: Die Regierungen sagen sich von Spanien los, um sich in die Arme des englischen Imperiums zu werfen. Gleichzeitig wurden Argentinien ebenso wie Brasilien die eingefleischten Feinde der neuen Republik.

Dr. Francia aber hielt Kurs und verteidigte zäh die nationale Unabhängigkeit. Nach der von der Bourgeoisie der Epoche aufgeschriebenen und bis heute gängigen Geschichte hinterließ Francia ein reiches, aber unwissendes Land. Nach marxistischem Konzept erschließt sich Francias Handlungsweise in diesen Begriffen: „Die revolutionäre nationale Diktatur rief eine wütende Opposition auf Seiten aller herrschenden Klassen und der privilegierten Besitzstände des Kolonialsystems hervor. Als Antwort darauf sah sich der jakobinische Führer der Revolution genötigt, drastische Maßnahmen anzuwenden....“ - Also wurden nicht nur diese rückwärts gerichteten sozialen Kräfte neutralisiert, sondern es wurde ihnen auch ihre ökonomische Basis entzogen und damit ihr politischer Einfluss. Francia enteignete auch die spanischen Händler, indem er ihren Besitz konfiszierte, ihnen Strafen auferlegte, Abgaben erzwang oder auch ihre Erbschaften kassierte. Auch die Glaubenskongregationen enteignete er, indem er z. B. ihre Sklaven und Pächter zu freien campesinos machte. Er zerschlug die Opposition der katholischen Kirche, indem er auch ihr die wirtschaftliche Grundlage entzog und sie ganz dem Nationalstaat unterordnete.

Die wenigen Ausländer, die in Francia´ s Regierungszeit einreisen durften, staunten, wenn sie erlebten, wie das paraguayische Volk die Kunst des Lesens und Schreibens beherrschte. Nach dem Historiker César Famin gab es allerorten staatliche Schulen, und Paraguays Bewohner, ob Indios oder Kreolen, konnten lesen, schreiben und singen. Ochsenkarren - damals und heute Dr. Francia wurde gefolgt von Don Carlos Antonio López. Der setzte die begonnene Revision des Staates fort: Abschütteln der spanischen Vorherrschaft, eine auf Autonomie gegründete Beziehung zur aufsteigenden Weltmacht England, Verweigern der von den englischen Banken angebotenen Kredite.

Genau wie Francia verteidigte auch Carlos Antonio López entschlossen die staatliche Unabhängigkeit, zunehmend auch gegenüber der Gefahr durch den brasilianischen Expansionismus. C. A. López  500 ausländische Fachleute wurden von der Regierung unter Vertrag genommen, um Arbeiten an der Infrastruktur des Landes zu leisten im Blick auf eine Industrialisierung. So kamen also Ingenieure, Techniker, Eisenbahnbauer, Architekten, Ärzte, Lehrer, Schriftsteller und praktische Arbeiter ins Land, die z.B. den Eisenbahnbau voran trieben. Die meisten Techniker waren Engländer. Der unter Vertrag genommene Ausländer brachte sein Wissen ein und erhielt dafür eine hohe Vergütung. Auf keinen Fall aber war es ihm erlaubt, sich in interne, erst recht nicht in internationale Handelsfragen einzumischen. Es war ihnen zudem verboten, Land oder andere Güter zu erwerben.

Paraguay wurde schließlich zu einer riesigen Werkstatt mit allen Arten fruchtbarer Arbeit, auf seinem Boden wurde in beständiger Betriebsamkeit Reichtum erwirtschaftet, der unmittelbar wieder aufgeteilt wurde. Bettler gab es nicht im Land. In der Primarbildung, mit seinen schulischen Werkstätten und mit seinen verpflichtenden Gemeinschaftsarbeiten, mit all dem war Paraguay seinen Nachbarn überlegen - eine Tatsache, die das aktuelle Imperium beunruhigte. Paraguay gab ein unerwünschtes, ein schlechtes Beispiel ab. 1862 starb C. A. López und übertrug die Führung des Landes seinem Sohn Francisco Solano López.

Sein wichtigstes Vermächtnis war die unbedingte Verteidigung der nationalen Souveränität insbesondere gegenüber den ständigen Annektierungsversuchen Brasiliens und Argentiniens. Auf Druck der britischen Regierung unterzeichneten die Außenminister Argentiniens, Brasiliens und Uruguays am 1. Mai 1865 in Buenos Aires den „Vertrag des Dreierbundes.“ Angeblich um die tyrannische Regierung Paraguays zu stürzen. Dieser geheime Vertrag wurde sogleich von dem großen argentinischen Rechtsgelehrten Juan Bautista Alberdi in Frankreichs Hauptstadt Paris öffentlich als Unrecht erklärt, das trug Bautista die Bezeichnung Verräter und die lebenslange Verfolgung durch den argentinischen Präsidenten Bartolomé Mitre ein.

Am 1. März 1870 wurde Marschall Francisco Solano López in Cerro Corá, im Norden Paraguays an der Grenze zu Brasilien, durch brasilianische Soldaten mit einer Lanze getötet. Das Wagnis, auf eigenen Füßen zu stehen statt auf die Knie zu fallen, kostete ihn das Leben. Für das paraguayische Volk wurde dieser Guerra Grande, der große Krieg, und sein bitterer Ausgang zu der Tragödie, aus der es sich bis auf den heutigen Tag nicht befreien konnte. Der von England angezettelte Krieg dauerte fünf Jahre, und immer noch macht man sich kaum eine Vorstellung vom Ausmaß der Barbarei dieser Kämpfe. Mehr als 70% der tätigen Bevölkerung Paraguays wurden vernichtet. Beide Länder, Brasilien wie auch Argentinien, wüteten gegen die bereits Besiegten, massakrierten neun von zehn Erwachsenen. Grund für diese Untaten war allein die Tatsache, dass Paraguay eine unabhängige wirtschaftliche Entwicklung erreicht hatte.

Das wirkt in unserem Gedächtnis fort als straflos gebliebene Verbrechen, die ihre Fortsetzung fanden in der Annektierung von 62000 km² besten Landes durch Brasilien und von 160000 km² durch Argentinien. Schlacht bei Paso de Patria. Dank seiner tapferen Frauen wurde das Land wieder aufgebaut. Die Sieger zwangen Paraguay die argentinische Verfassung auf, welche wiederum die Kopie der nordamerikanischen war. Die Universität, die Kollegs und Schulen wurden nach französischer Prägung ausgerichtet, ebenso wie die Streitkräfte. England errichtete in Paraguay, mit Hilfe seiner Kolonien Argentinien und Brasilien, die neue liberale Wirtschaftsordnung, um sich besser zu bedienen. Die beiden traditionellen Parteien, die von Brasilien installierten Colorados und die von Argentinien inspirierten Liberalen, sind bis heute die traurigen Protagonisten immer gleicher, ermüdender Kämpfe in unserer politischen Arena. Dieses ewige Zweiparteienmodell produziert zudem stets auf´ s neue Gewalt, Korruption und Straflosigkeit. „Im Zweiparteiensystem gewinnt die Wahlen, wer am meisten Geld einsammelt, um dann später als Regierung seinen Financiers Gunst zu erweisen“, so der argentinische Historiker Atilio Boron.

Doch die soziale Erosion reichte den Siegern des Dreibundkrieges nicht, sie betrieben alsbald auch die geografische Zerstörung unseres Landes, indem sie entlang den Flüssen Paraná und Paraguay Stadtstaaten gründeten mit Zwangsregimen. So verwandelte sich ein Land, das allen gehörte, in ein Land für einige wenige. Die brasilianische Regierung gab ihr Plazet, einschließlich Garantien, für die Gewährung der ersten englischen Staatsanleihe für Paraguay. Von den 1 Mio Pfund Sterling kamen 15% in Asunción an, die restlichen 85 % lösten sich auf dem Weg von London über Rio de Janeiro nach Asunción in Wohlgefallen auf. Auf diese Weise hielt auch in Paraguay das kapitalistische System Einzug.

J. Natalicio González, ein paraguayischer Schriftsteller und ehemaliger Präsident der Republik, wird später sagen, dass „England - ohne auch nur einen Mann zu opfern, ohne auch nur ein Gewehr einzusetzen - das gleiche Ergebnis erzielte wie die ´Indische Kompanie in Bengalen´ mit erheblichem Menschen- und Materialeinsatz, nämlich die radikale Zerstörung des einzigen Staates, der sich seiner neokolonialen Vorherrschaft in Lateinamerika widersetzte.“ Argentinien behielt die besetzten Gebiete, übergab aber das Plünderungsgut, Möbel und Kleider der Ehefrau des Mariscal Francisco Solano López. Brasiliens Beute sind die reichsten und fruchtbarsten Landesteile, es weigert sich aber, ein wichtiges Stück aus dem geraubtem Kulturgut zurück zu geben: die Nationalbibliothek. Dieses Problem wartet bis heute auf seine Lösung. Auch eine Revision des zutiefst ungerechten Itaipú-Vertrages ist überfällig. (Das bis vor kurzem noch weltweit größte Wasserkraftwerk war in den 70er Jahren von Brasilien und Paraguay erbaut worden, es war für Stroessners Paraguay und seine „Itaipú-Barone“ eine gigantische Korruptionsmaschine. Bis heute verbraucht Paraguay nicht einmal 10% seiner „Stromhälfte“, mit deren Verkauf - zu einem Spottpreis - der paraguayische Diktator die Baukosten finanziert und sein Land damit für Jahrzehnte dem mächtigen Nachbarn ausgeliefert hatte. Erst im letzten Jahr konnte der neue paraguayische Präsident Fernando Lugo den Brasilianern ein paar Millionen mehr entlocken, aber immer noch liegt der Verkaufspreis weit unter Marktpreis Ü.)

Die Kriegsgewinne aus dem „Dreibundkrieg“ - das waren vor allem die unermesslichen Ländereien, die sich anonyme ausländische Gesellschaften und ein paar Familien des Landes unter den Nagel rissen: Der massive Verkauf öffentlichen Landes zu Schleuderpreisen war die neue alte Strategie.....Mit den Folgen kämpft das Land noch heute, mit Tausenden campesinos ohne ein Stückchen eigenen Bodens und ohne dass eine Landreform in Sicht wäre. Nach ihrem Sieg in jenem vorgeplanten Ausrottungskrieg wurde unser Land eingebunden in den expandierenden weltweiten Kapitalismus. Sie hatten uns eine unterwürfige und denkbar nachteilige Rolle zugedacht im Rahmen der internationalen „Arbeitsteilung“.

Wir wurden Spezialisten in der Erzeugung von Produkten mit wenig Mehrwert. Das Hauptinstrument das wir hatten, um uns dieser Lage anzupassen, war - und ist - die maßlose Ausbeutung der Arbeitskraft. Das über die Grenze einfließende ausländische Kapital dient nicht etwa der Entwicklung des Landes, sondern unserer Unterwerfung. Bis heute sind wir nichts als eine Argentinien und Brasilien ausgelieferte simple Faktorei.

Unsere beiden traditionellen politischen Parteien machten sich ununterbrochen die Macht streitig und zettelten zahlreiche Staatsstreiche an mit Tausenden von Opfern. Eigentlich fühlten wir uns in der gesamten Folgezeit nach dem „Krieg der Niedertracht“ hilflos und ohne Schutz. Dies trägt nicht gerade zur Schärfung unseres Gedächtnisses bei und ist überdies dazu angetan, uns den moralischen und ökonomischen Preis nicht wahr nehmen zu lassen für unsere Einverleibung in die entfesselte und kriminelle internationale Ökonomie. War die englische Regierung der intellektuelle und moralische Autor des Guerra Grande (1865/70) gewesen, so trat in dieser Eigenschaft das ebenso mit imperialistischen Gelüsten ausgestattete Nordamerika auf den Plan und sorgte für den Bruderkrieg der beiden Nachbarländer Bolivien und Paraguay. Diesmal war es der Kampf um den Besitz des unterirdischen Chaco (der obere Teil sollte später an der Reihe sein), den die mächtigen Erdölgesellschaften Shell und Standard Oil Company austrugen, um die dort vermuteten Ölreserven auszubeuten.

Historisch gesehen hatten die UA 1903 mit Bolivien den „Vertrag von Petrópolis“ geschlossen, der dem Land eine Nutzung des Rio Paraguay und damit den Zugang zum Meer in Aussicht stellte. Chaco-Landschaft bei Boquerón Damit verbanden die Vereinigten Staaten die Absicht, das Gleichgewicht in der Region zum eigenen Vorteil zu zerstören, indem man der Flanke Argentinien einen unter Aufsicht gestellten Andenstaat angliederte. Der passende Krieg folgte 30 Jahre später. 1920 führt die Regierung Boliviens einen einzigartigen Handel durch: Sie überlässt den nordamerikanischen Erdölgesellschaften 1 Mio ha Land zum Kauf, und zwar in der erdölträchtigen Zone des paraguayischen Chaco! Damit gewann sie die Unterstützung des so einflussreichen Handelssektor der USA.

Aber sogar in den Reihen des amerikanischen Kongresses erhob einer die Stimme gegen dieses „singuläre“ Geschäft und mahnte, den Krieg zwischen Bolivien und Paraguay sofort zu beenden. Sein Mut kostete Senator Huey Long das Leben - eine Straße in Asunción trägt seinen Namen. Seltene Gelegenheit, mit positiven Gefühlen eines „Bruders im Norden“ zu gedenken .... Der Chacokrieg dauerte 3 Jahre (1932/35). 60000 Bolivianer und 30000 Paraguayer starben. Es war der grausamste Krieg, der jemals in der westlichen Hemisphäre im 20. Jhdt. geführt wurde. Den zweifelhaften Ruhm einer legendären Leidensfähigkeit konnten die Paraguayer auch in diesem Krieg in den Weiten der glühend heißen Dornensavanne des Chaco unter Beweis stellen, wo man auch ohne Feindeinwirkung verrecken konnte, zum Beispiel durch Verdursten. Dieses Mal ging es um die Sicherung der Erdölreserven - für die USA, wohl gemerkt.

Am 17. Februar 1936 - ein Jahr nach dem Inferno - übernahmen couragierte junge Kriegsoffiziere die Macht im Land, und einer der ihren, Leutnant Rafael Franco, wurde Präsident. Schon die ersten die Wirtschaft betreffenden Maßnahmen der neuen Regierung, alle sozialistischer Natur und natürlich nicht ohne Beschneidung der Interessen ausländischer Unternehmen, führten zu einer „Gegenrevolution“. Die Maßnahmen waren aber auch allzu „wirtschaftsfeindlich“ für die Machtelite: Das Landwirtschaftsministerium stand unter dem Leitspruch „Das Land dem, der es bearbeitet!“ Ein nationaler Rat für eine Landreform wurde geschaffen, der mehr als 10.000 Campesinofamilien unverzüglich ein Stück Grund und Boden zuteilte. Ein nationales Arbeitsamt verfügte den Achtstundentag. Ein Gesundheitsministerium, ein Amt für Hygiene auf dem Land und die Rentenkasse folgten. Die Flusshäfen, faktisch autonome Stadtstaaten, wurden geöffnet und dem Staatsbesitz zugeschlagen.

Es war wie eine späte Umsetzung dessen, was der Marschall Francisco Solano López wollte, wofür er gekämpft hatte und gestorben war: Ein souveräner Staat frei von Außenschulden, ohne Elend und Armut, ohne Veräußerung staatlichen Besitzes oder von Ressourcen wie z. B. Paraguays großzügige Naturreservate. Überall, wo produziert wurde, schuf man Erziehungs- und Ausbildungseinrichtungen, auch wurden sogenannte Volksuniversitäten gegründet. Das Nationaleinkommen wurde gleichmäßiger verteilt und Abhängigkeiten vom Ausland abgebaut. Eine reaktionäre militärische Verschwörung im Land selber, freilich unterstützt von Argentinien und Brasilien - und selbstverständlich mit freudiger Zustimmung Washingtons - sorgte dafür, dass diese Revolution nur ganze 18 Monate alt wurde. Wollte man unsere Geschichte auf eine noch knappere Synthese reduzieren, so könnte man sagen, dass Dr. Francia sich mit der spanischen Krone und mit dem Vatikan anlegte, Don Carlos und Marschall Francisco Solano López gegen Spanien aufbegehrten, und der Leutnant Rafael Franco schließlich Front machte gegen das nordamerikanische Imperium.

11 Jahre später, im Jahr 1947, erhob sich in der Stadt Concepción wieder ein Aufstand, der dieselben Ideale im Banner führte wie die der López und Rafael Francos. Ein zunächst durchaus siegreicher Aufstand - bis Argentinien diesen letzten revolutionären Vorstoß in Paraguay brutal zerschlagen ließ, durch seinen General Juan Domingo Perón, der die Reaktionäre an der Macht mit modernsten Waffen
ausrüsten ließ. Dieser Bürgerkrieg ist geläufig unter der Bezeichnung „Revolution von 47“, er kostete Tausende das Leben.

Am 4. Mai 1954 initiierte General Alfredo Stroessner, mit massiver Unterstützung durch die brasilianischen sowie nordamerikanischen Botschaften, einen Staatsstreich gegen eine krisengeschüttelte Zivilregierung unter Präsident Federico Chávez. Damit endete auch die Schaukelpolitik Paraguays zwischen Argentinien und Brasilien. Von nun an verwandelte nämlich der Diktator Stroessner unser Land in eine brasilianische „Kolonie zweiten Grades“, war doch Brasilien seinerseits faktisch eine Kolonie der USA. Stroessners erstes Opfer war Dr. Roberto L. Petit, ein revolutionärer „Colorado“ und Präsident des Instituts für Agrarreform, der dabei war, eine Landreform in Gang zu setzen und Erzeugerkooperativen zu schaffen. Als späterer Polizeichef öffnete er alle Gefängnisse mit dem Leitspruch „Unter Colorados darf es keine politischen Gefangenen geben!“ Er ließ auch sämtliche progressiven Bauerführer frei (Febreristen und Kommunisten), was ihn schließlich zum Opfer eines Mordanschlages werden ließ, von der nordamerikanischen Botschaft eingefädelt.

Der Repressionsapparat war das Rückgrat der Diktatur, die sich rasch einrichtete. Dazu bediente sich Stroessner der Dienste des nordamerikanischen Geheimdienstmannes Leutnant Robert K. Thierry, ein Veteran aus dem Koreakrieg, der die erste Mörderschule in Lateinamerika schuf, die unter dem zynischen Namen „Dirección de Asuntos Técnicos“ („Ressort für technische Angelegenheiten“) arbeitete und dem US-Innenministerium unterstand. Sein paraguayischer Gegenpart war Dr. Antonio Campos Alum. (Am 13. Februar 2012 erscheint - während dies hier aufgeschrieben wird - die Nachricht von Alums Tod, u. a. in einer Todesanzeige der Tochter in der Tageszeitung ABC Color. Dieser „Mann des Schreckens und des Terrors, der so vielen Bürgern des Landes Schmerz und Tod brachte, sie falschen Anschuldigungen aussetzte, und der über Jahre in der niederträchtigsten Weise agierte......der öffentlich und gerichtlich verfolgt wurde, ein Justizflüchtling mit unbekanntem Wohnort“ (so in einer Stellungnahme der Leiterin des „Museo de las Memorias“, Maria Stella Cáceres de Almada und Ehefrau des Dr. Martín Almada, Opfer der Diktatur und Menschenrechtsaktivist) - dieser Mann bekommt von seinen Angehörigen in die Todesanzeige den Satz geschrieben: “Den wir lieben, der stirbt nie, aber gleich wenn er stürbe, bleibt er auf ewig in unseren Herzen“ ......Zugestanden, aber sicher ist nur eins: Der Schmerz der zahlreichen noch lebenden Opfer oder der Angehörigen von Ermordeten unter der Terrorherrschaft dieses „Schreckensmannes“ wird wohl niemals vergehen - Ü.)

Offensichtlich war der Hauptzweck der Foltersitzungen - neben dem Erzwingen von Namen „subversiver“ Personen - die Verbreitung und Aufrechterhaltung von Angst und Schrecken in der Bevölkerung. Leutnant Thierry war der erste, der als Foltermethode die submarino einführte, das Eintauchen bis kurz vor dem Ersticken in eine Wanne mit fäkalienhaltigem Wasser - eine Art frühes „waterboarding“. Das wurde planvoll in allen Folterzentren eingesetzt, Tausende wurden Opfer, jeder konnte der nächste sein - kein Wunder, dass aus diesem Grund, gestern und heute, Angst die „zweite Haut des Paraguayers“ ist. In den sechziger Jahren bildete sich ein starker Widerstand gegen die Militärherrschaft Stroessners mit dem Erscheinen von „Guerrillabewegungen 14. Mai“, angeführt von der progressiven Jugend der „Partido Liberal“ und einer Bewegung FULNA mit kommunistischer Tendenz. Beide revolutionären Gruppen wurden brutal nieder geschlagen, ihre Anhänger gefoltert und kaltblütig ermordet.

Von 1954 bis 1989 war das Paraguay Stroessners eine Insel, auf deren Böden nicht Wasser, sondern Ströme von Blut sowie Unmengen ergaunerten Geldes flossen. Die „ruhmreichen Streitkräfte“ verwandelt er in bewaffnete Banden von Dieben und Mördern. Stroessner führte sein Land wieder zurück zum Status einer Kolonie Brasiliens. Heute, nach über 20 Jahren einer „bevormundeten Demokratie“, sind all die Morde, das massenhafte Verschwindenlassen von Personen unaufgeklärt, und die Mörder und Folterer genießen ihre Freiheit. Frieden und Fortschritt mit Stroessner

Wir brauchen unbedingt ein Ende der Straflosigkeit, damit wir eine demokratische Gesellschaft mit Zukunftsperspektive auf eine gerechte Grundlage stellen können. Die Straflosigkeit so vieler Täter aus dem blutigen Gewaltregime durchdringt - wenn auch stumm und wie eingefroren - unser Alltagsleben. In den siebziger Jahren begründet Stroessner, zusammen mit den anderen Militärregierungen der Region, mit Brasilien, Argentinien, Uruguay, Bolivien und Chile, die „Operation Condor“. Dieser kriminelle Pakt wurde im Rahmen der nordamerikanischen „Doktrin der Nationalen Sicherheit“ geschaffen, wonach der Hauptfeind eines Staates der Feind im Inneren ist: Zuallererst der aufständische Teil der Bevölkerung, dann der Rest in Verbänden, Gremien, studentischen und Gewerkschaftsvereinigungen, in intellektuellen, religiösen, Künstlerkreisen - bis hin zu den Indifferenten...... Nach der Gewaltforscherin Patricia Váldez stand das Verbrechen der Entführung am Beginn der von den Vereinigten Staaten ersonnenen Methodik der Verbreitung von Terror in Lateinamerika und der Auslöschung seiner politischen Oppositionellen. Im Laufe der Zeit wurde dieses Verbrechen durch den verzerrenden Euphemismus „Verschwindenlassen“ abgelöst - und schließlich wurden dann auch die Körper der Opfer planvoll versteckt.

Der desaparecido, der Verschwundene - in der Tat ein makabrer Begriff, von geradezu obszöner Ironie, mit dem man den Tod tausender Erwachsener und Kinder durch die Hand von Polizisten und Armeeangehörigen zu verbergen trachtete und gleichzeitig das ganze Volk einschüchterte. Hunderte Täter blieben weitgehend straflos. Unsere paraguayischen, an der Mörderschule in der Kanalzone Panamas ausgebildeten Militärs, bauten unermüdlich Kerker und geheime Haftanstalten, in denen sie die Intelligenz einsperrten. Sie wollten die Ideen in vier Wände zwängen und los werden, vergaßen aber, was der große argentinische Lehrer Sarmiento gesagt hatte, als er, von seinen Feinden verfolgt, über die Anden floh und ausrief: „Ihr Barbaren, die Ideen könnt ihr nicht töten!“

Die „Bilanz“ der Operation Condor waren kaltblütige und kalkulierte Morde nach Washingtoner Rezept, Vergewaltigungen, Vernichtung von Existenzen. Soziale Bande, aus denen sich alternative Projekte hätten entwickeln können, wurden zerstört, damit auch die Kräfte für ein nationales oder regionales Projekt der Demokratisierung. Am 4. Mai 1989 fiel die Stroessnerdiktatur, die fast 35 Jahre ununterbrochen Bestand hatte, durch einen Militärputsch. Keine siegreiche Revolution, sondern lediglich ein Wachwechsel. Es änderte sich keineswegs die korrupte Natur des Staates, zudem hinterließ Stroessner neben einer explosiven Armut ein kulturell verwüstetes bzw. leeres Land.

Angesichts der Tatsache, dass der paraguayische Staat immer seine historischen Verbrechen zu verbergen trachtet - wobei er stets mit der Komplizenschaft seiner Justiz rechnen kann - schuf man die „Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit“, deren Mandat im August 2008 endete. Ein positiver Aspekt unserer „bewachten Demokratie“ ist außerdem der Aufbau des „Museo de las Memorias - Dictadura y Derechos Humanos“. Auch die Einfügung der jüngeren Geschichte in die staatlichen Lehrpläne gelang.

Die Politik der gegenwärtigen Regierung, seit 2008 im Amt, schützt leider die Investoren, vor allem die Multinationalen, bringt die Forderungen des Volkes eher zum Schweigen und geht auch gewaltsam gegen solche Gruppen vor, die mobil machen und Gerechtigkeit verlangen. Immer mehr Polizei, Militär und Justizvertreter befinden sich in den Konfliktzonen im Norden Paraguays, und einige arme Bauerngemeinden erleben gar regelrechte Belagerungszustände fast wie in Zeiten der Diktatur. Ohnehin beschränken ja Bourgeoisie und Imperium die demokratischen Rechte auf das Wahlrecht alle fünf Jahre. Wir sind uns bewusst, dass es unbedingt das historische Gedächtnis zu bewahren gilt und für diesen Zweck Freiräume und Gelegenheiten zu schaffen sind, damit die Bürger über Themen wie Menschenrechte oder Friedenserziehung diskutieren. Wir wollen einen Frieden für Lateinamerika, der sich auf Gerechtigkeit gründet, auf das Recht und die Herzen. Wir wollen nicht Frieden auf Straflosigkeit bauen.

Es ist also nicht der Hass, der uns in diesen langen Jahren geleitet hat in unserem Kampf. Vielmehr hat sich unser Schmerz in Mut verwandelt, in eine befreiende Kraft. Es ist auch die Liebe, die wir für unsere Liebsten, für unsere Familien, unser Land empfinden, die unser Gedächtnis wach hält, auch unser ganz persönliches. Die Erinnerung an gestern, das waren der Schmerz und die Tränen - aber für die Zukunft ,haben wir die Hoffnung und die Genugtuung zu wissen, dass wir die Straflosigkeit überwinden können und die Gerechtigkeit sich durchsetzt. Wirkliches Leben kann sich nur auf Gerechtigkeit gründen. Konspiration gegen die denkende Klasse Lateinamerikas (Erinnerung an die „Operation Condor“ an den Universitäten) Meine persönliche Erfahrung mit dem Plan Condor im Bereich der Universität begann im April 1972 an der Nationaluniversität la Plata, wo ich mein Doktorandenstudium in Erziehungswissenschaften durchführte, und zwar als Stipendiat der argentinischen Regierung. Ganz zufällig traf ich dort mit dem argentinischen Militärattaché in Paraguay, Leutnant Juan Carlos Moreno, zusammen. Ich kannte ihn schon, weil ich als Direktor des Instituts Juan Bautista Alberdi Verbindungen zur argentinischen Diplomatie hatte. Buenos Aires Den Argentiniern galt Alberdi als bedeutender Rechtsgelehrter, während er für die Paraguayer der große Antiimperialist seiner Epoche war, der den Krieg gegen Paraguay als von England angestiftet und von seinen Kolonien Brasilien, Argentinien und Uruguay durchgeführt entlarvt und verurteilt hatte.

Der Leutnant Moreno erzählte mir von seiner Pensionierung als Militär, und dass er nun als technischer Berater des Rektors der Universität arbeitete, ebenfalls ein Ex-Militär. Nicht unsympathisch, dieser Moreno. Dreißig Jahre später erfuhr ich, dass die wahre Aufgabe jenes Leutnants die Erstellung einer „Subversivenliste“ der Studenten und Professoren war. Alle, die darauf standen, wurden später verhaftet, gefoltert, verwandelten sich in „Verschwundene“ oder mussten ins Exil fliehen. Man sieht daran, dass unsere damalige und heutige Unwissenheit mit großer Weisheit und Weitsicht von Washington „eingeplant“ und vermittels Weltbank, Internationalen Währungsfond und Inneramerikanische Entwicklungsbank politisch umgesetzt wurden.

15 Jahre stellte ich im französischen Exil geduldige Nachforschungen über die Diktatur in meinem Land an, als heimatloser Lehrer im Dienst der UNESCO für Lateinamerika. Am 22. Dezember 1992 fiel mir, zurück in Asunción, das Glück zu, ein entscheidendes Tor zur Vergangenheit aufzustoßen - und zwar buchstäblich - hinter dem sich das Geheimarchiv der politischen Polizei Stroessners befand, erstellt von den Unterdrückern selber, mit demselben kalten Schema der Nazis. Abtransport des „Terrorarchivs“. Der mutige Strafrichter José Agustín Fernández half mir dabei.

Heute, so viele Jahre nach der Entdeckung des „Archivs des Terrors“, weiß ich , dass es jener Leutnant Moreno war, welcher der Stroessner – Regierung auch meine Doktorarbeit mit dem Titel „Paraguay- Erziehung und Abhängigkeit“ übergeben hat. Darin vertrat ich die These, dass die Bildungseinrichtungen in Paraguay nur die herrschende Klasse begünstigen und Unterentwicklung und Abhängigkeit fördern. Meine Arbeit war inspiriert worden von der „Erziehung zur Freiheit“ eines Paulo Freire. Ein Militärtribunal mit den Militärattachés Argentiniens, Brasiliens, Chiles, Uruguays und Boliviens bezeichnete mein Delikt als „Intellektueller Terrorismus“. Paraguayische Militärs folterten mich auf brutalste Weise drei Wochen lang. Mein „Verbrechen“ kostete mich drei Jahre Kerker und 15 Jahre Exil, den Tod meiner Frau und die Konfiszierung meines Besitzes.Meine demokratischen Träume hatten sich in Albträume verwandelt.

Die Akte Almada

Im Konzentrationslager von Emboscada hatte die Diktatur alle Staatsfeinde zusammen gewürfelt: Anarchisten, Colorados, Kommunisten, Liberale, Febreristen, Sozialisten und Unabhängige. Auch Vertreter der „Ligas Agrarias Cristianas“ (christliche Bauernligen) , die gemäß der Theologie der Befreiung zu leben versuchten, waren dort eingekerkert. 13 Alle galten wir als subversiv und/oder terroristisch. So schrecklich der „Aufenthalt“ in diesem Lager auch war: Es gab viel Solidarität untereinander, und unsere Bewacher konnten nicht verhindern, dass wir, 400 Subversive, uns gegenseitig „ansteckten“. So verwandelten sich hier also meine erzieherischen Visionen gemäß Paulo Freire in politische Aktion.

Hier lernte ich auch die gewaltigen nationalen und internationalen sozialen Probleme kennen. In demselben Maße wie mein Klassenbewusstsein wuchs, steigerte sich auch mein Entschluss zu kämpfen. Ehemalige politische Gefangene Wir müssen die Wahrheit über diese heimtückische Organisation dokumentieren, die den Staatsterrorismus in fünf Ländern ausübte, die Tausende Familien zerstörte, deren Schmerz immer noch nicht vergangen ist. Mehr als 100.000 Opfer sind das makabre „Saldo“ des Condor, in ihrer Mehrzahl Arbeiterund Bauernführer, Studenten, Professoren, Forscher, Künstler, Journalisten, Ärzte, Rechtsanwälte und Intellektuelle - im Grunde die gesamte denkende Klasse Lateinamerikas.

Das Delikt all dieser „Staatsfeinde“ war der Gebrauch ihrer wie Waffen eingesetzten Schreibgeräte, mit denen sie eine Gesellschaft beschrieben, wie sie sein könnte: Gerecht und solidarisch.. Niemand sollte ausgeschlossen werden aus diesem revolutionären Prozess. In der Operation Condor waren Zivile und Militärs unserer Länder verbunden, ihr gemeinsames Ziel war die Vernichtung und das physische Verschwindenlassen - wenigstens aber das Verstummenlassen - großer Teile unserer Gesellschaft, um „militärisch“ das neoliberale Modell einzuführen: Wilde Privatisierung, totaler Markt, totale soziale Unsicherheit. Der chilenische Diktator Pinochet hat in den 70ern die „Globalisierung des Terrorismus“ voran getrieben, was nach seiner Verhaftung dazu führte, dass in sieben Ländern Anklage gegen ihn erhoben wurde. Dazu musste es aber erst einen spanischen Richter Garzón geben, in Chile hatte keine einziger seiner Kollegen den Mut, den Massenmörder Pinochet hinter Gitter zu bringen. (Und jetzt gerade erfährt Garzón die Strafe für seinen Mut, indem das erzkonservative spanische Establishment ihm den Prozess macht).

Bis in die demokratischen Zeiten sind also die chilenische als auch die paraguayische Justiz unerbittlich gegenüber ihren „Träumern“ - aber feige und willfährig gegenüber ihren Dieben und Mördern, die fast alle straffrei bis an ihr Lebensende gelangt sind wie General Stroessner (und zuletzt Campos Alum in Paraguay, einer der schlimmsten Verbrecher unter dem Diktator. Ganz offensichtlich ist auch der Raum der Erinnerung eine politische Kampfzone. Das Gedächtnis aber ist zäh, es will nicht im Dunkeln bleiben, besteht auf seiner brennenden Aktualität. Das Gedächtnis eines Volkes ist das Fundament seiner Freiheit. Die lernende Jugend wird die Bürgergesellschaft aufbauen, der bewusst ist, dass ohne Wahrheit, Gerechtigkeit und sühnende Strafe in Lateinamerika kein Frieden sein kann

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

Hilfsverein Solidarität - Solidaridad

Fundación Vida Plena

Kinderstation Hospital Barrio Obrero

Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

Unsere Info-Broschüre

Unsere Videos